„Wenn keiner geht, gehe ich“ – Seliger Engelmar Unzeitig

Predigt von Bischof Manfred Scheuer anlässlich der Gedenkfeier in der Ursulinenkirche in Linz (OÖ) am 21. Oktober 2016

Hubert Unzeitig, geb. am 1. März 1911 in Greifendorf in Mähren, wurde am 4. März in der Pfarrkirche von Greifendorf getauft. Mit 17 Jahren beginnt er im bayrischen Reimlingen als Spätberufener das Gymnasium der Missionare von Mariannhill, nach dem Abitur tritt er als Frater Engelmar dem Orden bei. Das Studium der Philosophie und Theologie absolviert er im Mariannhiller Piusseminar in Würzburg. Am 6. August 1939 wird Engelmar Unzeitig zum Priester geweiht, Primiz feiert er am Fest Mariae Himmelfahrt in Greifendorf. Bald danach bricht der 2. Weltkrieg aus. Nach Abschluss des Pastoraljahres wird Pater Engelmar Unzeitig im Juni 1940 der 1936 neu gegründeten österreichischen Mariannhiller Provinz mit Sitz in Riedegg unterstellt, im Missionshaus „Maria Anna Höhe“ (Schloss Riedegg) bei Gallneukirchen in Oberösterreich nimmt er sich besonders der französischen Kriegsgefangenen an. Bischof Gföllner bat nach der Übernahme der Verwaltung des „Generalvikariats Hohenfurth“ die Orden um Aushilfe, so auch die Mariannhiller in Riedegg. Der junge Priester Pater Unzeitig übernahm als Pfarrprovisor die Pfarre Glöckelberg mit 1. Oktober 1940. Die Pfarre (ca. 1.320 Katholiken) galt als schwierig („nicht fromm“). Pater Engelmar wird u.a. beschuldigt, er setze sich für verfolgte Juden ein, betrachte nicht den Führer, sondern Christus als seinen obersten Herrn. Nicht laut, aber deutlich bezog er gegen Hitler und die NS-Politik Stellung.

Pater Engelmar wurde denunziert, von einem Messdiener oder von einem Lehrer, und am 21. April 1941 von der Gestapo wegen „Kanzelmissbrauch und Beleidigung des Führers“ verhaftet und nach Linz zum Erkennungsdienst der Kriminalpolizeidienststelle gebracht (erkennungsdienstliche Behandlung am 22. April 1941).

Ob er dort bis zum Abtransport nach Dachau verblieb, ist nicht klar. Die Kriminalpolizeistelle Linz war im Polizeipräsidium Linz in der Mozartstraße 6-10. Das ehemalige „Hotel Europa“ wurde ab 1936 als Amtsgebäude für die Polizei genutzt und 1982/83 abgerissen. Heute ist dort das C&A Kaufhaus. Es ist anzunehmen, dass dort auch für die polizeiliche Arbeit Zellen für Untersuchungshäftlinge waren.

Am 3. Juni 1941 kommt Pater Unzeitig in das KZ Dachau. Der Häftling wird zur Nummer 26147, mit allen Schikanen eines KZs. Als in den letzten Dezemberwochen 1944 die Typhus-Epidemie ausbricht, meldet sich Pater Unzeitig mit 19 anderen Geistlichen freiwillig zur Pflege der Schwerst-Kranken. Er stirbt am 2. März 1945 selbst an Flecktyphus. Die herausgeschmuggelte Asche „des Engels von Dachau“ wird am Karfreitag, 30. März 1945 in Würzburg beigesetzt, am 20. November 1968 wird die Urne in die Mariannhiller Herz-Jesu-Kirche in Würzburg übertragen. Am 24. September 2016 wird Pater Engelmar Unzeitig in Würzburg seliggesprochen.

 

Aus einem Brief von Pater Engelmar Unzeitig Anfang Oktober 1941, also vor ziemlich genau 75 Jahren: „Fühle mich, Gott sei Dank, noch gesund. Auch erkältet war ich noch nicht. Der Rosenkranzmonat sieht uns wieder am Nachmittag zur Andacht zu gemeinsamem Rosenkrankgebet um den Altar geschart, um Maria, die Hilfe der Christen, die Mittlerin der Gnaden, zu grüßen und um ihre mütterliche Fürsprache anzurufen, und mit der Patronin der Missionare, der hl. Theresia, beten und opfern wir für die Ausbreitung des großen Reiches der Seelen Christi, des Königs, dem wir am Ende des Oktobermonats huldigen wollen.“[1]

„Gottes Wege sind wunderbar. Ja, Gott braucht uns nicht, nur unsere Liebe, unsere Hingabe, unser Opfer. So hoffe auch ich, den unzähligen Heimatlosen, als den Hilf- und Trostlosen, besonders in den schwer heimgesuchten Städten in etwa zu Hilfe kommen zu können. Dazu hat uns wohl Gott aus der aktiven Seelsorge herausgenommen, dass wir als große Beterschar durch Gebet und Opfer zu Gott um Gnade und Erbarmen flehen für unsere Brüder und Schwestern draußen.“[2]

Vermutlich sind uns solche Worte gegenwärtig fremd. Vertrauen und Zuversicht, Dankbarkeit und Liebe sind nach Mauthausen, Dachau und Auschwitz nicht mehr einfach die Grundhaltungen des Gebetes und des Lebens. Hat nicht die Barbarei in den KZ die Theodizeefrage noch einmal zugespitzt oder gar obsolet gemacht? – Und Pater Unzeitig ist auch nicht recht bekannt in der Diözese Linz und in Oberösterreich, obwohl er doch „einer von uns war“, „einer bei uns“.

Pater Engelmar wird u.a. beschuldigt, er setze sich für verfolgte Juden ein, betrachte nicht den Führer, sondern Christus als seinen obersten Herrn. Nicht laut, aber deutlich bezog er gegen Hitler und die NS-Politik Stellung. Pater Engelmar wurde denunziert, von einem Messdiener oder von einem Lehrer, und am 21. April 1941 von der Gestapo wegen „Kanzelmissbrauch und Beleidigung des Führers“ verhaftet und nach Linz zum Erkennungsdienst der Kriminalpolizeidienststelle gebracht (erkennungsdienstliche Behandlung am 22. April 1941). Am 3. Juni 1941 kommt Pater Unzeitig in das KZ Dachau. Der Häftling wird zur Nummer 26147, mit allen Schikanen eines KZ´s. Als in den letzten Dezemberwochen 1944 die Typhus-Epidemie ausbricht, meldet sich Pater Unzeitig mit 19 anderen Geistlichen freiwillig zur Pflege der Schwerst-Kranken. Er stirbt am 2. März 1945 selbst an Flecktyphus.

Märtyrer der Nächstenliebe

Wenn wir seine Briefe aus dem KZ lesen, dann spüren wir etwas von seinem tiefen Gottvertrauen, von seinem Einsatz für die Mithäftlinge, von seiner Frömmigkeit, die so stark war, dass selbst Verleumdung, Spott, Hunger und Grausamkeit ihn nicht davon abbringen konnten, sich bei Gott geborgen zu wissen. In einem seiner Briefe schreibt er: „Liebe verdoppelt die Kräfte. Sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh!“[3] Seine Liebe zu Gott und zum Nächsten war der tragende Grund seiner Bereitschaft, sich im KZ derer anzunehmen, die sich schwerer taten als er, Gottes fürsorgerliche Hand in allem zu sehen und trotz der Härte des Lagerlebens auch weiterhin an Gottes Güte zu glauben. Er sparte immer wieder von den eigenen, sehr knappen Essensrationen etwas ab und reichte es heimlich weiter an junge, hungrige russische Häftlinge. Bei den täglichen Arbeiten auf dem Feld und in der Fabrik freundete er sich mit russischen Zwangsarbeitern an. Gleichzeitig betreute er sie als Seelsorger, übersetzte für sie einen kleinen Katechismus ins Russische und mühte sich so, in ihren trostlosen Alltag ein wenig Licht zu bringen. Auf diese Weise fand auch ein hoher russischer Offizier wieder zurück zum Glauben seiner Väter. Engelmar Unzeitig war von seiner Berufung her Missionar, besonders auch im KZ, der nichts wollte, als „die ganze Welt in Gottes Vaterhaus zurückbringen“. Er war vom „Geist der Kleinheit“ der hl. Therese geprägt: „Das Bewusstsein, dass für Gott in seiner Sehnsucht, alle Menschen zu retten, nichts und kein Wort unwichtig ist.“ (Pater Damian Weber CMM)[4] Therese ist für sein Selbstverständnis als Missionar im KZ wichtig. Wenn er Menschen nicht direkt evangelisieren konnte, dann wollte er, gemäß dem Wort der hl. Therese von Lisieux (1873-1897) wenigstens für sie leiden und büßen. Am 11.1.1942 schreibt er: „Mich tröstet ein Wort der hl. Theresia: ‚Mit Worten kann man wohl Seelen unterrichten, retten kann man sie aber nur durch leiden.“[5]

Er lernte die Sprache der Tschechen in seiner Heimat, französisch für die Kriegsgefangenen in Riedegg, Russisch für die Mithäftlinge in Dachau, um besseren Zugang zu ihnen zu finden. Die russischen, bzw. ukrainischen Häftlinge und Zwangsarbeiter waren ihm ein besonderes Anliegen.

 Mission als Inkarnation

 Thomas von Aquin: „Vivo ergo propter Patrem, quia misit me: idest, fecit me incarnari: missio enim Filii Dei est eius incarnatio.” (In Jo 6, 58 lect.7 n.977). Papst Franziskus spricht davon, dass Missionare, Priester und Bischöfe den Geruch der Schafe haben sollen, d.h. dass sie den Geruch der Wohnungen kennen soll. Sie sind wesentlich Gesandte, die auf die Menschen zugehen und ihnen nachgehen. Bei diesem Apostolat ist aber zu beachten, dass es zur Beschäftigungstherapie wird wenn es keinen spirituellen Gegenpol in Form der „Prèsence“, des einfachen Daseins und Wartens, gibt. Jesus lässt sich Gott auch im Verborgenen, im Geringsten, in der Enttäuschung und im Entzug von Erfahrung zumuten. So kann Gotteserfahrung in der Spur Jesu durchaus enttäuschend sein. Wer hat es denn noch nicht erlebt, dass er sich nach Menschen oder nach Gott gesehnt hat und angeklopft hat in der nächsten Minute ein Sandler? Nach Christus ist nichts mehr zu erwarten (Johannes vom Kreuz). „Nahe bei den Menschen sein“, ist in mehreren Diözesen ein pastorales Leitwort.

Engelmar Unzeitig meldete sich freiwillig zur Typhuskrankenpflege und ging damit in die Todeszone. Und es war auch ein Todeskommando. Sie „fegten die Bretter und Pritschen sauber, so gut es ging, wuschen die verdreckten, schwitzenden, stinkenden, zu Skeletten ausgemergelten Leiber, sammelten verlaust Kleider ein, zündeten sie an, das Feuer fraß sich hinein in den von Läusen wimmelnden Kleiderberg.“[6] „Durch den unbeschreiblichen Schmutz der Lagerarbeiten, durch Ansteckung, Läuse und Hunger begleitete uns der Herr – durch Typhus, Ruhr, Enteroklotis (Entzündungen des Dünn- und Dickdarms) und Krätze; die Ärzte sprachen von Cholera … Das Seelsorgeverbot galt auch in den Typhusbaracken, doch die Todesangst hielt die SS fern. … Alles starrte vor Schmutz und Läusen, Eiter, Speichel und Kot. … Oft fehlten sogar die Bretter, andere Häftlinge hatten sie weggenommen, um Kartoffeln zu kochen, um die Baracke zu beheizen. Die Fensterscheiben fehlten, eisiger Wind wehte herzlos über die Sterbenden.“[7] Damit war Pater Engelmar „nahe bei den Menschen“.

Mission als Kenose

Am 14. Dezember 1927, ziemlich genau 30 Jahre nach ihrem Tod, hat Papst Pius XI. Thérèse von Lisieux zur Patronin der Missionen in der ganzen Welt ernannt. Sie war nie als Missionarin unterwegs, aber sie ist an spirituelle und existentielle Grenzen gegangen. Thérèse vom Kinde Jesu macht in ihrem geistlichen Leben massive Erfahrungen des Nebels, der Nacht, der Mauer zwischen ihr und Gott. Sie deutet diese Erfahrungen von der christologischen Solidarität mit den Sündern her.[8] Thérèse von Lisieux vollzieht die Nicht-Erfahrung, die Kenose Christi in die Hölle aus Solidarität mit den Ungläubigen mit. Sie kann die Gotteserfahrung aus Liebe zu den Nächsten loslassen. Sie weiß sich berufen, da zu sein, wo Christus ist und wenn es in der Hölle ist. Sie erfährt am eigenen Leib die Nacktheit des Glaubens, der nichts mehr sieht, nichts mehr spürt und nichts mehr erfährt. Sie glaubt, hofft und liebt ins Leere hinein und eröffnet so in der Hoffnungs- und Lieblosigkeit eine Stelle der Hoffnung und der Liebe (Stellvertretung!). Papst Franziskus hatte gemeint, dass eine missionarische Kirche an die Ränder gehen soll, nicht nur geographisch, sondern an die sozialen Grenzen und an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtigkeit, der Ignoranz, der fehlenden religiösen Praxis, des Denkens und jeglichen Elends: das ist die Hölle von Auschwitz und von Dachau, die Höllen des Krieges und der Gewalt, das sind die Abgründe der Psychiatrie, der Flucht und des Todes. Eine Mission ohne Abstieg in diese Abgründe ist nicht Mitvollzug der Sendung Jesu.

Mission heißt Sendung, Auftrag. Ich glaube, dass jeder Mensch in seinem Leben einen Auftrag, eine Sendung zu verwirklichen hat. Es gibt keinen unnützen oder gar nutzlosen Menschen. Wir können unseren Lebensauftrag leider verfehlen, aber wir können ihn auch finden und allmählich verwirklichen. – Mission ist das „Weitersagen, was für mich selbst geistlicher Lebensreichtum geworden ist und dies – im Sinn von „Evangelisierung“ – auf die Quelle zurückführen, die diesen Reichtum immer neu speist; auf das Evangelium, letztlich auf Jesus Christus selbst und meine Lebensgemeinschaft mit ihm.“ (Medard Kehl) Letztlich geht es bei Mission darum, das zeigen, was man liebt: Jesus zeigen, von dem wir sicher sein dürfen, dass er uns liebt.

Am Anfang war es mehr ein Wortspiel: Aus dem Priester mit dem Namen Engelmar wurde schon bald der „Engel von Dachau“. Er wurde aber zu einem wirklichen Engel, zu einem Boten, der Botschaft der Menschlichkeit und der Liebe in einer unmenschlichen Zeit verbreitete. Es waren seine Selbstlosigkeit, seine Fürsorge für die Mithäftlinge, seine kindliche Begeisterung für den christlichen Glauben. Da, wo Gottes Gegenwart am wenigsten vermutet wird, leuchtet sie in einem Menschen auf, der in der größten Erniedrigung, in Hunger und Schmach Gottes Güte und wehrlose Hingabe lebt. „Wenn keiner geht, dann gehe ich.“

„Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.“[9] In den Seligpreisungen fügt Jesus das Zerschlagene und die Zerschlagenen zusammen, holt er die Verlorenen heim, macht er die Kaputten lebendig, trocknet er die Tränen, gibt er den Toten Hoffnung.

Bischof Manfred Scheuer

Adalbert L. Balling, Eine Spur der Liebe hinterlassen. Pater Engelmar (Hubert) Unzeitig, 1911-1945, Mariannhiller Missionar, Märtyrer der Nächstenliebe im KZ Dachau, Würzburg / Reimlingen 1984.

Adalbert L. Balling / Reinhard Abeln, Speichen am Rad der Zeit. Priester in Dachau, Freiburg 1985.

Engelmar Unzeitig, Liebe verdoppelt die Kräfte. Briefe aus dem KZ, Würzburg / Reimlingen 1992.

Worte der Freiheit. Briefe aus der Haft: Pater Engelmar Unzeitig 1991-1945, hg. Pater Andreas Rohring CMM, München 2001.

 

[1] Briefe aus Dachau von Pater Engelmar Unzeitig an seine Schwester Maria-Huberta – Juni 1941 bis Februar 1945, 5.10.1941, zitiert nach: Adalbert L. Balling / Reinhard Abeln, Speichen am Rad der Zeit. Priester in Dachau, Freiburg 1985, 60.

[2] Engelmar Unzeitig, Liebe verdoppelt die Kräfte. Briefe aus dem KZ, Würzburg / Reimlingen 1992,118.

[3] Worte der Freiheit. Briefe aus der Haft: Pater Engelmar Unzeitig 1911-1945, hg. Andreas Rohring CMM, München 2011,51.

[4] Rundbrief der Missionare von Mariannhill Nr. 58 (2016) 3.

[5] Albert L. Balling / Reinhard Abeln, Speichen am Rad der Zeit. Priester in Dachau, Freiburg 1985, 79.

[6] Alexander Berger, Kreuz hinter Stacheldraht, Bayreuth 1963.

[7] Johannes Maria Lenz, Christus in Dachau, Wien 1956.

[8] Thérèse vom Kinde Jesus, Selbstbiographische Schriften, Einsiedeln 1958, 219-223.

[9] Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische These IX.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.