Predigttext: Bischof Scheuer in Glöckelberg

Beim Wallfahrtsgottesdienst in Glöckelberg hielt der Linzer Diözesanbischof Manfred Scheuer eine beeindruckende Predigt über das Lebenszeugnis des Seligen Pater Engelmar Unzeitig CMM

Die große Glocke der Kirche in Glöckelberg im Böhmerwald mit 237 kg „Maria Königin des Friedens“ wurde vom Stift Schlägl gestiftet und trägt die lateinische Inschrift “QUI CREDIT VIVIT“ / Wer glaubt, der lebt“ und „POPULOS AD PACEM VOCO“ / „Ich rufe die Völker zum Frieden“. Die zweite mit 141 kg stiftete Horst Wondraschek und ist der hl. Ursula gewidmet. Sie trägt die lateinische Inschrift: „PER OMNES FINES AD RECONCILIATIONEM VOCO“ /„Über alle Grenzen hinweg rufe ich zur Versöhnung.“

Minderwertigkeit und Musterung

In seinem vierbändigen „Essay über die Ungleichheit der menschlichen Rassen“ (1853–1855) vertrat Joseph Arthur de Gobineau die Ansicht, dass der Lauf der Weltgeschichte rassisch bedingt sei. Während alle Hochkulturen den Ariern zuzuordnen seien, müsse man die übrigen „Rassen“ als „minderwertig“ ansehen. Vermische sich die „arische Herrenrasse“ mit einer der „minderwertigen Rassen“, komme es zu Zerfall und Untergang. Annahme, dass die germanische Herrenrasse die einzig kulturschöpfende, technisch begabte und staatsbildende Kraft in der Geschichte sei. Kontur gewann dieses Konstrukt aus dem Negativbild der „jüdischen Gegenrasse“. Adolf Hitler glaubte, es könne in der Zukunft nur „eine höchste Rasse“ als Herrenvolk zur Weltherrschaft berufen sein. Die nationalsozialistische Rassenhygiene, die Zwangssterilisierung und Ermordung als „minderwertig“ angesehener Kranker und Behinderter, die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Juden und die Pläne zur Neugestaltung der eroberten polnischen und sowjetischen Gebiete (Generalplan Ost) dienten dem Ziel, die Herrschaft der arisch-germanischen „Rasse“ zu erhalten und einen „germanischen Staat deutscher Nation“ zu errichten.[1]

Aus einer Denkschrift Heinrich Himmlers vom Mai 1940: „Für die nichtdeutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam, ehrlich, fleißig und brav zu sein.“[2]

Theodor W. Adorno in den Minima Moralia: „Musterung. Wer, wie das so heißt, in der Praxis steht, Interessen zu verfolgen, Pläne zu verwirklichen hat, dem verwandeln die Menschen, mit denen er in Berührung kommt, automatisch sich in Freund und Feind. Indem er sie daraufhin ansieht, wie sie seinen Absichten sich einfügen, reduziert er sie gleichsam vorweg zu Objekten: die einen sind verwendbar, die anderen hinderlich. …  So tritt Verarmung im Verhältnis zu anderen Menschen ein: die Fähigkeit, den anderen als solchen und nicht als Funktion des eigenen Willens wahrzunehmen, vor allem aber die des fruchtbaren Gegensatzes, die Möglichkeit, durch Einbegreifen des Widersprechenden über sich selber hinauszugehen, verkümmert. Sie wird ersetzt durch beurteilende Menschenkenntnis. … Das Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“[3]

Der Selige P. Engelmar Unzeitig hat nicht in Kategorien von Überlegenheit und Minderwertigkeit, nicht in Kategorien von Herren und Sklaven, von Freunden und Feinden gedacht. Er sah in anderen Völkern keine Rivalen, keine Gegner und Feinde. Rivalität richtet Grenzen auf zwischen Menschen, Rassen und Nationen und erzeugt Feindbilder. Durch Rivalität und Konkurrenz geht heute mehr und mehr die Fähigkeit verloren echte Beziehungen einzugehen und sich einem Miteinander zu öffnen. Eine große Gefahr für das gemeinsame Miteinander ist der Neid. Der Neid ist die Traurigkeit über das Gut, über das Glück eines anderen. Wenn es einem anderen gut geht, so geht es mir schlecht. Wenn der andere gesund ist, so werde ich krank. Wenn der andere gewinnt, bin ich Verlierer. Es gibt das Schielen und Vergleichen, es gibt die Konkurrenz und eben den Neid, die Beziehungen nachhaltig vergiften. Die Seligen haben sich nicht durch den Neid vergiften lassen und haben das Liebesgebot Jesu bis zum Ende gelebt. „Wenn Gott Mensch geworden ist und es in Ewigkeit bleibt, dann und darum ist aller Theologie verwehrt, vom Menschen gering zu denken. Sie dächte von Gott gering.“ (Karl Rahner) Denn Gott schreibt das Hoheitszeichen seiner Liebe und Würde, zeichnet seinen Segen auf die Stirn eines jeden Menschen, auf unsere Stirn, auf die Stirn von Freunden und Feinden.

P. Engelmar Unzeitig

Nach Abschluss des Pastoraljahres wird P. Engelmar Unzeitig im Juni 1940 der 1936 neu gegründeten österreichischen Marianhiller Provinz mit Sitz in Riedegg unterstellt, im Missionshaus „Maria Anna Höhe“ (Schloss Riedegg) bei Gallneukirchen nimmt er sich besonders der französischen Kriegsgefangenen an. Die (südböhmischen) Kreise Kaplitz und Krumau wurden der zivilen Verwaltung dem Gau Oberdonau unterstellt (politische Eingliederung mit 1. Juli 1939), die kirchlich zur Diözese Budweis gehörenden deutschsprachigen Gebiete von der Diözese Linz verwaltet. Bischof Johannes M. Gföllner übernahm mit 1. Jänner 1940 die provisorische kirchliche Verwaltung von 45 Pfarren in den vier deutschen Dekanaten („Vikariate“) Hohenfurth, Kaplitz, Krummau, Oberplan) mit 87.568 Einwohnern, womit die Diözese Linz (867.980 Katholiken) mit dem neuen Verwaltungsgebiet „Generalvikariat Hohenfurth“ (mit P. Dominik Kaindl als Gerneralvikar) auf 955.548 Einwohner anwuchs. Wegen des großen Priestermangels (Abzug der tschechischen Priester, kriegsbedingter Abgang von Wehrmachtspriestern etc.) bittet Bischof Gföllner die Mariannhiller Missionare von Riedegg (neben anderen Orden) um Aushilfe in den Pfarren.

P. Engelmar Unzeitig übernimmt mit 1. Oktober 1940 als Provisor die schwierige Pfarre Glöckelberg, mit ca. 1320 Katholiken. Es waren harte Monate für den Neupriester. Nicht nur der Winter war streng, auch die Seelsorge forderte ihn heraus – auf der Kanzel, beim Religionsunterricht, im Gespräch mit den Menschen. Die Nationalsozialisten waren in dieser Zeit bestimmend; Hitlers Agenten lauerten überall, auch in den Kirchen. Nicht laut, aber deutlich bezog P. Engelmar gegen Hitler und die NS-Politik Stellung. P. Engelmar wurde denunziert, von einem Messdiener oder von einem Lehrer, und am 21. April 1941 von der Gestapo wegen „Kanzelmissbrauch und Beleidigung des Führers“ verhaftet und nach Linz zum Erkennungsdienst der Kriminalpolizeidienststelle gebracht (erkennungsdienstliche Behandlung am 22. April 1941). Er wurde beschuldigt, er setze sich für verfolgte Juden ein. Er betrachte nicht den Führer, sondern Christus als seinen obersten Herrn. Er lehre die Jugend, Gehorsam gegenüber Gott sei wichtiger als gegenüber weltlicher Macht. Am 3. Juni 1941 (Todestag von Bischof Gföllner) kam P. Unzeitig in Dachau an. Der Häftling wurde zur Nummer (26 147) – mit allen Schikanen eines KZs. Ab April 1942 arbeitete Unzeitig auf der sogenannten Plantage, größtenteils Gewürzland und Versuchsfelder und in der „Messerschmitthalle“. Das KZ Dachau war kein eigentliches Vernichtungslager, aber es geschah Vernichtung durch Arbeit, Entbehrung, Hunger, Krankheit, willkürlichen Mord, Erschießungen, pseudowissenschaftliche Experimente der SS-Ärzte und andere Schikanen. Die Jahre im KZ Dachau waren für Unzeitig die Hölle. Dabei war die Mission seine Berufung: Er lernte die Sprache der Tschechen in seiner Heimat, französisch für die Kriegsgefangenen in Riedegg, Russisch intensiver für die Mithäftlinge in Dachau, um besseren Zugang zu ihnen zu finden. Die russischen, bzw. ukrainischen Häftlinge und Zwangsarbeiter waren ihm ein besonderes Anliegen.

Wenn wir seine Briefe aus dem KZ lesen, dann spüren wir etwas von seinem tiefen Gottvertrauen, von seinem Einsatz für die Mithäftlinge, von seiner Frömmigkeit, die so stark war, dass selbst Verleumdung, Spott, Hunger und Grausamkeit ihn nicht davon abbringen konnten, sich bei Gott geborgen zu wissen, In einem seiner Briefe schreibt er: „Gottes Wege sind wunderbar. Ja, Gott braucht uns nicht, nur unsere Liebe, unsere Hingabe, unser Opfer. So hoffe auch ich, den unzähligen Heimatlosen, als den Hilf- und trostlosen, besonders in den schwer heimgesuchten Städten in etwa zu Hilfe kommen zu können. Dazu hat uns wohl Gott aus der aktiven Seelsorge herausgenommen, dass wir als große Beterschar durch Gebet und Opfer zu Gott um Gnade und Erbarmen flehen für unsere Brüder und Schwestern draußen.“

„All das nimmt uns aber nicht die Gelassenheit, da wir uns alle in Gottes Hand wohl geborgen wissen. (…) Ob wir leben oder sterben, wir sind des Herrn. All unsere Tun, unser Wollen und Können, was ist es anderes als seine Gnade, die uns trägt und leitet. Seine allmächtige Gnade hilft uns über die Schwierigkeiten hinweg. Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, sie macht innerlich frei und froh. Es ist wirklich in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. (…) Unsterblich ist das Gute und der Sieg muss Gottes bleiben, wenn es uns auch manchmal nutzlos erscheint, die Liebe zu verbreiten in der Welt.“ (an seine Schwester,  1944)

„Gott lenkt alles in wunderbarer Weisheit. Wir wissen nur nicht oft sofort, wozu alles gut ist.“[4]

Seine Liebe zu Gott und zum Nächsten war der tragende Grund seiner Bereitschaft, sich im KZ derer anzunehmen, die sich schwerer taten als er, Gottes fürsorgerliche Hand in allem zu sehen und trotz der Härte des Lagerlebens auch weiterhin an Gottes Güte zu glauben. Er sparte immer wieder von den eigenen, sehr knappen Essensrationen etwas ab und reichte es heimlich weiter an junge, hungrige russische Häftlinge. Bei den täglichen Arbeiten auf dem Feld und in der Fabrik freundete er sich mit russischen Zwangsarbeitern an. Gleichzeitig betreute er sie als Seelsorger, übersetzte für sie einen kleinen Katechismus ins Russische und mühte sich so, in ihren trostlosen Alltag ein wenig Licht zu bringen. Auf diese Weise fand auch ein hoher russischer Offizier wieder zurück zum Glauben seiner Väter. Engelmar Unzeitig war von seiner Berufung her Missionar, besonders auch im KZ, der nichts wollte, als „die ganze Welt in Gottes Vaterhaus zurückbringen“.

In den letzten Dezemberwochen 1944 brach eine Flecktyphus-Epidemie im Lager aus – mit mehr als 100 Toten täglich. Für die Pflege meldeten sich 20 „Freiwillige“ katholische Geistliche aus den Priesterblöcken 26 und 28, darunter P. Engelmar Unzeitig – ein freiwilliger Gang in den Tod. Am 2. März 1945 starb Unzeitig an Flecktyphus.

 

Bischof Manfred Scheuer

[1] Mario Wenzel: Germanische Herrenrasse. In: Wolfgang Benz (Hrsg.). Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 3, München 2010, 107; Anja Lobenstein-Reichmann: Houston Stewart Chamberlain. Zur textlichen Konstruktion einer Weltanschauung. Eine sprach-, diskurs- und ideologiegeschichtliche Analyse. De Gruyter, Berlin 644-651.

[2] Adalbert L. Balling / Reinhard Abeln, Speichen am Rad der Zeit. Priester in Dachau, Freiburg 1985, 24.

[3] Theodor W. Adorno, Gesammelte Werke IV, 147.

[4] Worte der Freiheit. Briefe aus der Haft: Pater Engelmar Unzeitig 1911-1945, hg. Andreas Rohring CMM, München 2011,51.