Herausforderungen eines Märtyrers der Nächstenliebe

Vortrag von Provinzial Pater Michael Maß CMM über Pater Engelmar Unzeitig CMM in der Würzburger Domschule am 19. September 2016

Vortrag
P. Engelmar Unzeitig –
Herausforderungen eines Märtyrers der Nächstenliebe

I Biographie

P. Engelmar wurde am 01. März 1911 in Greifendorf, im heutigen Tschechien nahe Zwittau, als Hubert Unzeitig geboren. Er wuchs in einem tief religiösen Elternhaus auf. Bereits 1916 verlor er seinen Vater. Als Kriegsgefangener des 1. Weltkrieges starb dieser an Flecktyphus. Als einziger Sohn der Familie lag die Hoffnung der Mutter auf Hubert. Er sollte den kleinen Hof später übernehmen und musste schon als Kind hart mitarbeiten.
Der junge Mann verspürte aber eine andere Berufung: er wollte Priester und Missionar werden. Nachdem seine Mutter dieser Berufung zunächst nicht traute, erbat sie Hilfe bei einem Redemptoristenpater. Dieser gab ihr, nach einem längeren Gespräch mit dem Jungen, die Weisung: Lassen sie ihn studieren! Hier ruft der Herrgott!
P. Englemar schrieb später selbst: „Ich fühlte mich gedrängt, in Christi Dienst zu treten zur Rettung der Menschenseelen. Ich beschloss, mein Leben der Bekehrung der Heiden zu widmen.“ (Generalatsarchiv)
Durch die Mariannhiller Missionszeitschrift „Vergissmeinnicht“ war er auf unsere Gemeinschaft aufmerksam geworden und kam so 1928 ins Spätberufenenseminar nach Reimlingen. Nach dem Abitur trat er 1934 ins Noviziat der Missionare von Mariannhill ein. Nach einem Jahr legte er die Ordensgelübde ab und studierte dann in Würzburg Philosophie und Theologie. 1939 wurde er hier in unserer Herz-Jesu-Kloster-Kirche zum Priester geweiht. Nur wenige Tage später brach der 2. Weltkrieg aus. P. Engelmar wurde in unsere Niederlassung Riedegg in Österreich versetzt. Dort betreute er französische Kriegsgefangene. Im Oktober 1940 kam er nach Glöckelberg im Böhmerwald und war als Pfarrprovisor tätig. Wegen angeblich „heimtückische Äußerungen“ in Predigten und Unterricht, sowie „Verteidigung der Juden“ wurde er dort 1941 von der Gestapo verhaftet. Nach kurzer Untersuchungshaft in Linz wurde er am 03. Juni 1941 ins KZ Dachau überstellt. P. Engelmar ging immer noch von einem Missverständnis aus und hoffte auf baldige Entlassung. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht und er verbrachte knappe vier Jahre in diesem KZ, bis er dort am 02. März 1945 an Typhus erkrankt starb.
Dank einiger Mithäftlinge wurde P. Engelmars Leichnam einzeln verbrannt und seine Asche in einem kleinen Holzkästchen aus dem KZ geschmuggelt.
Am 30. März, dem Karfreitag 1945, wurde diese den Mitbrüdern in Würzburg übergeben und auf dem Hauptfriedhof beigesetzt, mitten in den Kriegswirren, knappe 14 Tage nach dem verheerenden Angriff auf Würzburg. 1968 wurde die Asche P. Engelmars in die Herz-Jesu-Kirche übertragen und dort in einer Seitenkapelle bestattet.

II KZ Dachau

P. Engelmar war sechs Jahre Priester, davon vier im KZ Dachau. Um sein geistliches Erbe verstehen zu können, ist es wichtig, sich ein Bild des KZ-Alltags zu machen – soweit dies überhaupt möglich ist. Ich möchte es hier kurz versuchen, nicht mit eigenen Worten, sondern mit Schilderungen ehemaliger Mithäftlinge von P. Engelmar:

Pfarrer Richard Schneider über den SS-Kommandanten des Lagers – Begrüßung der Neuankömmlinge:
„Ihr habt aufgehört, Menschen zu sein. Ihr seid aus der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen. Ihr seid jetzt nur noch Nummern. Wenn eine Nummer ausfällt, kann sie von einem anderen getragen werden.“ (Speichen S. 49)

Von einem Blockältesten namens Gutmann ist folgender Text überliefert:
„Kameraden, ihr seid nicht in ein Erholungsheim gekommen. Hier wird gearbeitet, nicht gefaulenzt. Das Leben ist ein Dreck, die Strafen sind barbarisch. Wer Brot stiehlt, wird erschlagen. Setzt euch ja keine Flausen ins Hirn, als ob ihr bald wieder entlassen würdet. Der normale Weg in die Freiheit geht durch den Kamin. Meine Aufgabe hier ist es, euch einzuführen in die neue Lebenspraxis: Gehorchen, Bettenbauen, Marschieren, Liedersingen.“ (Speichen S. 52)

Von dem Häftling Reimund Schnabel sind uns die „Begrüßungsworte“ des SS- Hauptscharführers Tränkle überliefert:
„Hier hat niemand zu lachen. Der einzige, der hier lacht, ist der Teufel, und der Teufel – der bin ich!“ (Speichen S.49)

Erlauben Sie mir die Bemerkung: wir sprechen hier von einer menschengemachten Hölle. Der Teufel ist Hausherr und „zu lachen hat wirklich nur er“ (vgl. Zitat!), so scheint es!

Den KZ-Häftlingen war es gestattet, Briefe an ihre Verwandten zu schreiben. Alle Briefe mussten zunächst die Lagerzensur passieren. Fand man etwas „Verdächtiges“, wie z. B. Berichte über Situation und Alltag im Lager, wurden diese Stellen geschwärzt oder der ganze Brief vernichtet.
Auch P. Engelmar hat seinen Verwandten und Mitbrüdern geschrieben. Gott sei Dank ist ein Großteil seiner Briefe erhalten. Sie sind für uns eine wichtige Bezugsquelle, denn in ihnen spiegelt sich seine Entwicklung, sein Glaube und seine missionarische Sendung wider. Es ist P. Engelmars geistliches Erbe; ein faszinierendes Zeugnis, das uns Mut macht aber eben auch herausfordert.

III Missionar an besonderer Stelle

P. Engelmars Wunsch war es, Missionar zu werden. Er wollte die Frohbotschaft zu denen bringen, die Christus noch nicht kennen. Sicher hat er sich sein Missionsfeld anders vorgestellt. Doch kann man mit Recht behaupten: er war wirklich ein Missionar von ganzem Herzen.
Unser Ordensgründer Abt Franz Pfanner sagte: Unser Missionsgebiet ist ein Stück vom Reich Christi und das hat keine Grenzen.
Ich vermute, dieses Wort unserer Gründers hat P. Engelmar auf seine Situation angewandt. Für das Reich Christi gibt es keine Grenzen. Weder geographische noch politische. Schon gar nicht die Grausamkeit und Idiotie der Nazis kann diesem Reich Gottes Grenzen setzen. Und so war es nur eine logische Folgerung, dass er da wo er ist, Missionar sein musste. Das Evangelium leben und verkünden, vllt. nicht durch große Predigten, wohl aber durch das gelebte Zeugnis. Sein Missionsgebiet war das KZ Dachau. Er selbst schreibt es in einem seiner Briefe:

den vielen Kameraden, die nicht vom Glauben an ein glückliches Jenseits beseelt sind, diese Trost- und Kraftquelle vermitteln und erflehen (23.08.42)

Das war seine Mission. Und dies war sicher auch der Grund, warum er sich als Blockschreiber und später als Pfleger auf den Todesbaracken gemeldet hat. Die Schreibarbeit war das eine, Hintergrund war, dass er so bei Häftlingen Seelsorge betreiben konnte. Heimlich erarbeitete er mit anderen Priestern einen Katechismus in russischer Sprache, um auch diesen Kameraden die Frohbotschaft verkünden zu können. Und das unter Lebensgefahr; wären sie dabei erwischt worden, hätte das den sicheren Tod bedeutet.
Der Gipfel seiner missionarischen Liebe war, Ende 1944 Anfang 45, die freiwillige Pflege der Todgeweihten in den Typhusbaracken. Nazis haben da keinen Fuß mehr hineingesetzt. So war Seelsorge, Spendung der Sakramente und Begleitung der Sterbenden ungehindert möglich.
Darüber hinaus hat P. Engelmar missionarische Weite besessen, die kaum zu glauben ist. Trotz all der Schwierigkeiten und Probleme, die jeden Tag zu bewältigen waren, hat er nie die Welt draußen, seine Familie und Mitbrüder vergessen. In seinen täglichen Gebeten war für alle ein Platz:

Ich gedenke stets seiner und seiner Anliegen sowie der anderen Mitbrüder, genauso wie Eurer Sorgen und Anliegen und der weiten Weltkirche. Das gibt der Enge unseres Sichtfeldes immer wieder apostolische Weite und Verbindung mit all den vielen Betenden und Opfernden daheim und draußen.(14.11.43)

Beten und opfern wir weiter für einander und für die Rettung der Menschheit für Christus. (13.07.41)

IV Glaube – Quelle des Lebens

Wie hat Engelmar das alles geschafft, wie konnte er diese Mission leben?
Der schon erwähnte Blockälteste Gutmann hat gesagt: „Einen Gott gibt es nicht im Lager; keiner hat in je gesehen.“ (Speichen S. 52) Ein Eindruck, den sicher viele Inhaftierte in Dachau teilten. Die täglichen Grausamkeiten und Schmähungen, den Tod immer vor Augen, war dieses Wort sicher vielen aus der Seele gesprochen.
Aber genau das hat P. Engelmar nicht geglaubt. Mit einem solchen Gerede wollte und konnte er sich nicht abfinden. Ganz im Gegenteil: Engelmar war überzeugt, Gott ist da! Immer und immer wieder hat er in seinen Briefen genau davon gesprochen. Das war seine Kraftquelle, das Vertrauen in die Treue und Gegenwart Gottes und seinen guten Plan mit den Menschen:

Danke täglich Gott für seine wunderbare Hilfe. Er ist ja die Allmacht, der Helfer, selbst wo, menschlich gesprochen, Hilfe nicht zu finden ist. (12.07.42)

Über seine Kräfte lässt Gott ja keinen versucht werden. Wir wollen daher mit Gottvertrauen in die Zukunft schauen und uns wie auch hier gegenseitig stützen (12.07.42)

Gott lenkt alles mit wunderbarer Weisheit. Wir wissen nur nicht sofort, wozu alles gut ist. (10.08.41)

Doch was geht über das Glück, Gott selbst in unserem Herzen zu wissen, der ja die Quelle aller Seligkeit und allen Friedens ist. (15.12.41)

Gott verläßt nicht die, die auf ihn ihr Vertrauen setzen. Darum heißt es: Mut und Vertrauen! (05.04.42)

Es gilt: was Gott tut, das ist wohlgetan.[…]Sein heiliger Wille sei gepriesen. (28.06.42)
Gott ist wirklich gut und verlässt keinen, der auf ihn hofft. (25.07.42)

Der Gedanke an Gottes Wille, der ja reinste Güte und Liebe gegen uns ist, ist ja die stärkste und oft wirklich einzige Kraftquelle. (20.09.42)

Ja, wunderbar kann Gott stärken. Ihm sei des Herzens tiefster Dank gesagt. (04.10.42)

Diese Worte sprechen für sich. Es ist erstaunlich, welch enormes Gottvertrauen diesem jungen Mann geschenkt war! Trotz aller Bemühungen des Regimes, Gott und Religion zu verbannen, hat P. Engelmar in dieser Hölle des Lebens nicht den Mut verloren und sein Glaube war dafür die Kraftquelle. Er hat aus der Gegenwart Gottes gelebt, und daraus Vertrauen und Hoffnung geschöpft. Ein lebendiger Beweis, wie er sagen würde: Gott lässt keinen verloren gehen.

V Märtyrer der Nächstenliebe

P. Engelmar war fest in seinem Gott verwurzelt.
Trotz der schrecklichen Lebenswelt, die ihn umgab, konnte er sein Gottvertrauen immer mehr vertiefen. Nichts und niemand konnte ihm das nehmen.
Und noch mehr: P. Engelmar hat in dieser ganzen Situation eine tiefe Liebe zu seinem Gott entwickelt! Eine Liebe, in der er sich getragen und gehalten wusste!

Da gibt nur der Glaube und die hoffende Liebe Mut und Kraft. Doch Gott ist gut und hilft immer wieder weiter und führt seine Kinder liebevoll die Wege seiner Weisheit und Güte. (18.10.42)

So verwundert es auch nicht, wenn P. Engelmar immer mehr einen Weg der liebenden Hingabe geht. Ein Weg, der mit dem Leiden des Herrn ganz eng verbunden ist:

Das bittere Leiden unseres Herrn, das uns viel Trost und Kraft in die Seele gibt. Freue ich mich, dass ich unseren Herrn und Erlöser in etwa trösten und helfen darf in der Rettung der Seelen und seinen Ostersieg um so herrlicher zu gestalten, um als Kronzeuge seiner Wundermacht und Gottheit selbst zu neuem Leben aufzuerstehen. (22.03.42)

Ein Kronzeuge der Wundermacht Gottes – das kann nur jemand sagen, der sich geborgen und gehalten weiß von einer höheren Macht, der eine irdische nichts anhaben kann. Es zeigt, wie sehr er seine Lebenssituation und -umstände im Licht der Allmacht Gottes gesehen hat. Man kann sagen, dass hier ein liebendes Herz eines jungen Priesters und Ordensmannes spricht, und das in der Hölle auf Erden.
P. Engelmar bringt selbst am besten zum Ausdruck, wie sehr seine Gottesliebe ihm zu Leben verhilft, wie sehr sie ihn anspornt, das Doppelgebot der Liebe zu leben bis hin zum Opfer seines eigenen Lebens:

Bin auch, Gott sei Dank, gesund. Wenn ich heute an meinem Primiztag bedenke, daß ich nun schon die längere Zeit meines Priestertums herinnen verbringe, so muß man doch sagen, Gottes Wege sind wunderbar. Ja, Gott braucht uns nicht, nur unsere Liebe, unsere Hingabe, unser Opfer . So hoffe auch ich, den unzähligen Heimatlosen all den Hilf- und Trostlosen, besonders in den schwer heimgesuchten Städten in etwa zu Hilfe kommen zu können Dazu hat uns wohl Gott aus der aktiven Seelsorge herausgenommen, daß wir als große Beterschar durch Gebet und Opfer zu Gott um Gnade und Erbarmen flehen für unsere Brüder und Schwestern draußen . (15.08.43)
VI Herausforderung

P. Engelmar Unzeitig steht am kommenden Samstag ganz besonders im Mittelpunkt. Er wird seliggesprochen. Die Kirche stellt uns seine Person und vor allem sein Lebensopfer als Vorbild vor Augen. Ein Vorbild, das Orientierung geben will und ermutigen soll zu einem Leben aus dem Glauben. Somit ist P. Engelmar und sein Martyrium auch eine Herausforderung, eine Anfrage an uns, unsere Zeit und unser Leben.

P. Engelmars Leben hat eine drastische Wendung genommen, nachdem er Unrecht beim Namen genannt hat. Es war ihm unmöglich, die Lehrmeinung der Nazis zu akzeptieren oder gar nach ihr zu leben. Er hat festgehalten an seinem Bekenntnis zu Christus, daran, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen! Er hat das Unrecht, dass im Namen des Regimes verübt wurde, angeprangert – und das hat ihn sein Leben gekostet.
Was bedeutet das für heute?
Wir erleben, dass Politiker, die sich für das Wohl des Menschen einsetzen, werden beschimpft, weil sie Fremde und Andersgläubige ins Land lassen.
Religiöse Fanatiker und Extremisten werden mit Flüchtlingen in einem Atemzug genannt und alle sind gleichermaßen eine Gefahr für das „christliche“ Europa.
Gläubige Menschen anderer Religionen werden angefeindet, weil sie ihren Glauben leben wollen.
Hier ist derzeit oft das Unrecht Wortführer und nicht mehr ein gesunder Menschenverstand.
Nach dem Vorbild P. Engelmars müssen wir unsere Stimme erheben. Wir dürfen nicht zuschauen und stillschweigend akzeptieren, was in manchen Köpfen vorgeht und aus manchen Mündern hervorquillt. Unrecht muss beim Namen genannt werden und der Einsatz für Recht und Gerechtigkeit muss oberste Priorität haben.

P. Engelmar musste in einem Umfeld leben, in dem Gott, Glaube und Religion verboten und ausschließlich die Macht und Idiotie des Nazi-Regimes eine gültige und verehrungswürdige Größe war.
Wir leben in einer Zeit, in einem Europa, in einer Gesellschaft, in der Gott und der Glaube eine verschwindend geringe Rolle spielen. Nicht weil es verboten wäre, sondern weil das für vielen Menschen schlichtweg egal geworden ist oder weil der Mammon des Geldes, der Wirtschaft und der Macht als einzig selig- und frohmachende Wahrheit angesehen wird. Wie viele sind an dieser Situation schon zerbrochen. Dabei geht es nicht mehr nur um einzelne Menschen, sondern bereits um ganze Länder.
In dieser Situation, in der wir leben, kommt das Vorbild P. Engelmars genau richtig. Sein Leben zeigt uns, dass der Glaube nicht etwas Altbackenes, eine Last, frommes Getue oder gar eine moralische Kontrolle ist. Im Leben von P. Engelmar wird klar, welch enorme Kraftquelle in diesem Glauben liegt. Hätte er seinen Glauben nicht gehabt, wäre er sicher, wie viele andere, an seiner Situation zerbrochen. Doch der Glaube gab ihm Halt und Geborgenheit. Er war wirklich eine Quelle, aus der er täglich im Gebet Kraft geschöpft hat, für das, was an Grausamkeit auf ihn und seine Mithäftlinge gewartet hat.
Der Glaube als Kraftquelle und als frohmachend für unseren Alltag, das ist ein Aspekt, den P. Engelmar uns zeigt und den wir neu lernen müssen. Wenn der Glaube nicht nur oberflächlich bekannt wird, wenn es nicht nur die Eintragung im Standesamt unter der Sparte Religion ist, sondern wirklich ernst gemeinter Glaube, der in meinem persönlichen Alltag eine Rolle spielt, werden wir diese Kraft, diese Freude neu entdecken.

Ein weiteres wichtiges Element, das im Leben von P. Engelmar aufleuchtet, ist die Liebe. Umgeben von Hass und Gewalt hat er sich seinem Umfeld nicht angepasst. Im Gegenteil, er hat aus der Liebe Gottes gelebt, sie immer tiefer erfahren – im KZ – und hat diese Liebe weitergegeben. Besonders deutlich wird dies in einem Zitat von Prälat Emil Kiesel, einem Mithäftling von Engelmar: „Er war ein sehr lieber, wertvoller Mensch. Die Liebe in Person. Mehr kann ich nicht sagen. Das ist er gewesen: Liebe!“. P. Engelmar hat den Hass nicht Gewalt von sich ergreifen lassen, obwohl es sicher verständlich und nachvollziehbar gewesen wäre. So wird er zu einer Symbolfigur, zu einem Märtyrer der Versöhnung.
Wie viel Streitigkeiten, Verletzungen und Hass gibt es in unserem täglichen Leben. Zum einen erfahren wir es am eigenen Leib, zum anderen werden wir zu Tätern – in Familie, Freundeskreis oder am Arbeitsplatz. Wie oft redet man sich damit heraus, dass jemand es verdient habe oder auch nicht anders sei. P. Engelmar zeigt uns einen anderen Weg. Gleiches mit Gleichem zu beantworten, ist hier eindeutig das falsche Vorgehen. Wem Hass begegnet, der darf sich davon nicht leiten lassen sondern sollte mit Liebe antworten. Denn diese setzt andere Maßstäbe, weil sie erträgt, standhält und sogar vergibt.
Eine Herausforderung, die es in sich hat, denn erstgenannte Art der Reaktion ist deutlich die leichtere. Und wer den Weg Engelmars wählt, macht sich verletzlich und verwundbar. Darüber sollten wir nachdenken, uns selbst anfragen und den Mut haben, unser Leben daran auszurichten. Und stellen Sie sich vor, dieser Gedanke könnte Einzug halten in die Köpfe der Mächtigen der Welt.

Versöhnung ist ein wichtiges Thema unserer Zeit, nicht nur im Kleinen und Privaten, sondern vor allem auch auf höheren Ebenen. Vermutlich wird P. Engelmars Beispiel die Mächtigen der Welt kaum interessieren. Aber vielleicht kann seine Seligsprechung ein Anstoß sein für Schritte der Versöhnung zwischen einzelnen Menschen aber auch Nationen. Hier denke ich vor allem an seine Heimat, die jetzt in der tschechischen Republik liegt. Eine Aussöhnung zwischen Ost und West hätte in ihm ein gutes Vorbild und einen mächtigen Fürsprecher.

Wenn wir bei P. Engelmar von Liebe sprechen, dann kommt seine ganze Person, sein ganzes Wirken im KZ unweigerlich in den Sinn. Von der Liebe Gottes durchdrungen konnte er nicht anders, als sie zu leben – in die Tat umzusetzen. Ganz praktisch und ohne großes Aufsehen:
Er hat russische Häftlinge, die im Lager am schlechtesten behandelt wurden, mit Essen versorgt. Von seinen eigenen Rationen sparte er etwas auf und von seinen priesterlichen Mithäftlingen erbettelte er, was nur möglich war. So hat er einige vor dem sicheren Hungertod bewahrt.
P. Engelmar hat nie aufgehört, priesterlich zu wirken, obwohl dies im Lager lebensgefährlich war und mit dem Tod bestraft wurde. Es gab viele seelsorgliche Gespräche mit Häftlingen in den verschiedenen Einsatzorten wie Plantage, Messerschmitt-Baracke oder auch als Blockschreiber. Und wie schon erwähnt, gipfelte diese Liebe in der Bereitschaft, die Todkranken zu pflegen und sie auf dem letzten Weg ihres Lebens zu begleiten. Dabei war ihm die Sorge um die anderen wichtiger, als sein eigenes Leben. Er wollte und konnte nicht anders, als ihnen als Priester und Ordensmann beizustehen.

P. Engelmar ist ein Märtyrer der Nächstenliebe – so wurde er von seinem kürzlich verstorbenen Mithäftling Prälat Herman Scheipers bezeichnet. Ein Märtyrer, der Opfer des Nationalsozialismus und seines grausamen Regimes wurde. Wenn er seliggesprochen wird, ist dies auch ein Zeichen gegen das Vergessen. Was damals in unserem Land passiert ist, darf sich nie mehr wiederholen. Dass die Idiotie eines Einzelnen ein ganzes Land beherrscht, dass Politik und Macht für die eigenen Interessen und Bedürfnisse missbraucht wird, dass der Mensch, wenn er nicht ins selbstgemachte Bild passt, nur Dreck ist, dass man willkürlich über Leichen gehen kann, das darf nicht mehr passieren.
Betrachtet man allerdings die Entwicklungen der letzten Monate, ist das für mich erschreckend und beängstigend zugleich. Es scheint fast so, erlauben Sie mir diese Einschätzung, dass rechtsextremes Gedankengut nicht nur wieder salon-fähig, sondern auch noch offen, laut und stolz bekannt wird.

Ein Märtyrer wie P. Engelmar soll unserer Gesellschaft, vor allem den jüngeren Generationen ein mahnendes Zeichen sein!
Und, da der Mensch scheinbar nur bedingt aus seinen Fehlern lernt, ist dieser Märtyrer auch ein Aufschrei der Geschichte. Ein Impulsgeber, dass der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden, die Sorge um das Wohl der Mitmenschen, die Versöhnung zwischen Generationen und Völkern, eine wichtige Aufgabe von uns allen ist. Von uns als Einzelnen und als Gesellschaft. Von unserer Politik und unserer Kirche. Nur so wird es eine Zukunft geben, in der alte Fehler sich nicht wiederholen und ein Leben in Fülle, wie Gott es für uns gedacht hat, möglich sein wird.

Abschluss

Sehr verehrte Damen und Herren,
P. Engelmar, ein „Märtyrer der Nächstenliebe“, oder der „Engel von Dachau“, wie er von seinen Mithäftlingen liebevoll genannt wurde, ist ein bemerkenswerter Mensch und ich hoffe, Ihnen diesen neuen Seligen etwas näher gebracht zu haben. Mit einem seiner Briefe möchte ich meine Ausführungen zum Schluss bringen. Diese Zeilen lesen sich wie eine Art Zusammenfassung seines Lebens und seiner Berufung:

„Meine liebe Schwester!
Auch ich freute mich sehr, als ich nach langer Zeit von Dir wieder ein Lebenszeichen erhielt. Viel Schuld daran tragen vielleicht auch die gestörten Verkehrsverhältnisse. All das nimmt uns aber nicht die Gelassenheit, da wir uns alle in Gottes Hand wohl geborgen fühlen, wie der heilige Paulus sagt: „Wir mögen leben oder sterben, wir sind des Herrn“. All unser Tun, unser Wollen und Können, was ist es anderes als seine Gnade, die uns trägt und leitet. Seine allmächtige Gnade hilft uns über die
Schwierigkeiten hinweg, ja, wie die heilige Felizitas sagte, „leidet der Heiland selbst in uns und ringt zusammen mit unserem guten Willen um den Triumph seiner Gnade“. So können wir seine Ehre mehren, wenn wir seiner Gnadenkraft kein Hindernis entgegensetzen und uns restlos an
seinen Willen hingeben. Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh. Es ist wirklich „in keines Menschen Herz gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“. Freilich trifft auch sie die raue Diesseitswirklichkeit mit all dem Hasten und Jagen
und mit dem ungestümen Wünschen und Fordern, mit ihrer Zwietracht und mit ihrem Haß wie ein beißender Frost, aber die Strahlen der wärmenden Sonne der Liebe des allgütigen Vaters sind doch stärker und werden triumphieren, denn unsterblich ist das Gute und der Sieg muß Gottes bleiben, wenn es uns auch manchmal nutzlos erscheint, die Liebe zu verbreiten in der Welt. Aber man sieht doch immer wieder, daß das Menschenherz auf Liebe abgestimmt ist und daß ihrer Macht auf Dauer nichts widerstehen kann, wenn sie nur wirklich auf Gott und nicht auf die Geschöpfe gründet. Wir wollen weiter alles tun und aufopfern, daß Liebe und Friede bald wieder herrschen mögen.“

Dieses Wort „Liebe verdoppelt die Kräfte“ war für P. Engelmar ein Grundsatz, den er gelebt hat. Und so wurde er zu einem Beispiel der grenzenlosen Liebe Gottes. Eine Liebe, die jedem Menschen gilt. Eine Liebe, die an jedem Ort gelebt werden kann – egal unter welchen Umständen. Ja noch mehr: die sogar gelebt werden MUSS!
Durch sein Leben und sein Martyrium fordert P. Engelmar uns auf, die Liebe Gottes zu ergreifen, aus ihr zu Leben und sie weiterzugeben. Zu der Zeit und an dem Ort, wo wir hingestellt sind, wo wir leben!