Augenzeugen berichten

Mithäftling Hans Brantzen

Entnommen aus FN 1,1950 S. 70-73 Hans Brantzen.,

Familiäre Nachrichten der CMM:

Ein Augenzeuge über Pater Engelmar in Dachau

Hans Brantzen, ein Kaplan aus Mainz, der mit P. Engelmar auf der Plantage arbeitete, äußert sich über ihn wie folgt:

+ Pfarrer Hans Brantzen„Ich lernte Unzeitig genauer kennen, als wir im April 1942 den schweren Kreuzweg der Dachauer Priestergemeinschaft erlebten. Dieser bestand in harter Arbeit im Dachauer Moor, der sogenannten Plantage. Erschwert wurde diese Arbeit noch durch den Umstand, dass den Priestern im Gegensatz zu den anderen Häftlingen, Ausländer und Russen miteingeschlossen, die sogenannte Brotzeit verweigert wurde. Diese Brotzeit war nämlich die Zugabe für die Arbeiter in den Kommandos. Dort nun lernte ich Unzeitig kennen als Mitarbeiter im Gewächshaus 6 der berüchtigten Plantage (Näheres über diese Plantage im Buche von P. Sales Heß „Dachau, eine Welt ohne Gott“). Es waren furchtbare Monate, in Hitze, Regen und Schnee. Wir mussten Schubkarren fahren, Beete ausheben, saßen bei Regen und Sturm auf den Pikierbeeten, Unzeitig und ich oft zusammen. Ohne ein falsches Loblied singen zu müssen, darf ich beteuern: Er war immer der gleiche; wenn die anderen klagten und heimdachten an die guten, alten Tage, wenn es ihnen zu viel wurde und sie nicht mehr konnten, schaute er nach oben zum Vater. Und es halft Hauptpunkte seines feinen Charakters waren Bescheidenheit, Ruhe und Verträglichkeit in der Enge des Blockes. All das ließ ihn nicht auffallen. Was auffiel, war seine Caritas, wenn er bei seinen Mitbrüdern für andere arme Häftlinge bettelte. So war er auch manches Mal bei mir, wenn ein Paket angekommen war. Wie oft saß er abends nach der kargen Mahlzeit, vor seinem Buche „Werktagsheiligkeit“ und machte Exzerpte, über die ich mich mit ihm oft unterhielt.

Beide gehörten wir einem kleinen Kreise an, der über liturgische, homiletische und praktische Fragen der Seelsorge diskutierte. Keine freie Zeit versäumte er zur Adoratio (stille Anbetung). Wenn wir von der harten Arbeit müde auf unseren Block kamen, um unseren Schlag Steckrüben oder anderes zu fassen, sah man ihn in die Kapelle gehen, bevor er die Stube betrat. Abends war Unzeitig stets für Minuten in der Kapelle zu sehen; desgleichen vor jedem Antreten. Mit größtem Heroismus hielt er sich während des Sterbesommers und der Hungermonate 1942 aufrecht, oft zum Zusammenbrechen müde und schlapp wie wir alle. Dabei blieb er stets der gleiche hilfsbereite Mann.

Nachdem ich nach meiner Genesung von schwerem sechsmonatigem Typhus im Juni 1943 auf den Block zurückgekehrt war, fand ich mich mit Unzeitig bald in einem neuen Kommando: Besoldungsstelle der Waffen-SS außerhalb des Lagers. Dort erhielt er durch seine reservierte, untadelhafte Haltung eine solche Macht über seinen vorgesetzten SS-Führer, einen kriegsversehrten Unterscharführer, dass dieser sich oft mit ihm in tiefere Gespräche einließ. Ja Unzeitig konnte diesem SS-Mann sogar Briefe persönlichen Inhalts schreiben und auch sonst entsprechend wirken. Es war dies ein ganz eigenartiges Verhältnis, fast ein Mysterium, wie P. Unzeitigs tiefinnerliche, priesterliche Haltung auf diesen Menschen wirkte, der bis dahin der Kirche ferngestanden war. Es wird wohl immer ungeklärt bleiben, was die beiden im letzten sprachen und wie tief P. Unzeitig die Zukunft dieses Menschen beeinflusste.

Als wir Geistliche wegen einiger „Vorkommnisse“ aus der Besoldungsstelle verwiesen wurden, fanden wir wieder ein gemeinsames Kommando: Messerschmitt, Flugzeugbaracke mit Tag und Nachtschicht. Wir arbeiteten uns zu Kontrolleuren auf und bekamen dadurch die Möglichkeit, manches Gute zu wirken an armen Russenjungen und kleinen Franzosen und Italienern und überhaupt an all denen, die uns unterstellt waren. Und hier bei Messerschmitt erlebten wir bei P. Unzeitig ein Ereignis besonderer Prägung, bei dem seine Hilfsbereitschaft für religiös suchende Menschen besonders zum Ausdruck kam. Dort musste uns ein russischer Familienvater [ ein Ingenieur], Peter mit Namen, in die ersten Anfänge der Technik einführen. Er war ein guter Mann, Vater von zwei Kindern, die wohl heute noch mit ihrer Mutter auf den Vater warten. Peter entpuppte sich als ein schlichter, aber tiefer und geistig reifer Mensch, der die Probleme des Lebens sieht und anpackt. Und so begannen bald Gespräche um Gott in den Nächten bei Messerschmitt, Nikodemusstunden eigener Art. P. Unzeitig nahm sich immer mehr dieses Suchenden an, der zur russischen Kirche gehörte. Die beiden trafen sich außerhalb der Arbeit oft auf der Lagerstraße zu Zwiegesprächen. Es entwickelte sich zwischen den beiden ein feines Freundschaftsverhältnis auf geistiger Basis. Um sich besser mit Peter verständigen zu können, lernte P. Unzeitig fleißig Russisch. Aber in diesem Peter war eine letzte Unsicherheit und ein letztes Bangen. Und da kam ein Ereignis, das ihn ganz für den Glauben gewann. Zum zweiten Mal, während unserer Zeit, im Februar 1945, tritt der Typhus auf, und zwar mit ungekannter Heftigkeit Diesmal war es der Fleck- und Hungertyphus. Die Zustände auf allen ungeraden Blocks bis Block 29, die zu Revieren, oder besser gesagt, zu vollgepfropften Sterbe- und Totenkammern wurden, bedingten es, daß sich die Geistlichen freiwillig zum Dienst an den armen Menschen meldeten. Niemand wollte mehr Pflegedienste tun, am wenigsten das offiziell aufgestellte Nazi-Pflegepersonal. Unter den Freiwilligen ist auch P. Unzeitig. Er wird angesteckt und stirbt wie so viele andere seiner Mitbrüder. [Unzeitigs] Entscheidung, freiwillig in die Krankenblocks zu gehen, hat bei Peter das Eis gebrochen und das letzte Hindernis entfernt. Der Tod seines Missionars erschüttert ihn fürchterlich. Er verehrt P. Unzeitig wie einen Heiligen. Er ließ auch seinen Angehörigen einen sogenannten schwarzen Brief zugehen, in dem er P. Unzeitig als Heiligen preist, der ihm Christus gebracht und so sein Ideal Missionar zu werden, auf eine ganz eigenartige Weise erfüllt hat. Das den Toten keine Ehrung zuteil wurde, war für uns Dachauer zu selbstverständlich. Die Toten dieser Typhuskatastrophe konnten gegen Ende Februar und im März nicht mehr verbrannt werden, da keine Kohlen und kein Holz mehr zur Verfügung standen. So wurden sie im Krematoriumsbereich aufgeschichtet und mit Chlorkalk übergossen. Unter diesen vermuteten wir auch P. Unzeitig. Doch es hat sich herausgestellt, dass seine Leiche separat verbrannt worden ist. Die Asche wurde nach Würzburg gebracht und in der Gruft der Missionare von Mariannhill ehrenvoll beigesetzt.